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Ottfingen, ein hübsches Dorf im Sauerland. Die 2.200 Bewohner*innen mussten in den vergangenen Jahren herbe Verluste einstecken: Metzgerei, Schuhgeschäft, Blumenladen, Elektrobedarf, Post, Bank, Gastwirtschaft – alles weg. Ende 2019 feiern Evi und Erhard Schmidt Abschied. Sie gehen in Rente. Ihre Kneipe war 10 Jahre lang Treffpunkt für viele Vereine, für Jung und Alt.

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Die mitten im Dorf gelegene Grundschule wurde 2016 geschlossen. Das wollten damals einige Bewohner*innen so nicht hinnehmen. Sie wehrten sich, sammelten Unterschriften, entwickelten neue Ideen und Konzepte, intervenierten beim Bürgermeister, demonstrierten vor dem Rathaus. Ohne Erfolg.

Peter Solbach, Geschäftsführer eines kleinen Unternehmens und erster Vorsitzender der Schützenbruderschaft war dabei: „Wut ist auch immer eine Energie. Und diese Energie, die kann man umsetzen, die kann man destruktiv umsetzen und man kann sie konstruktiv umsetzen.“ 2017 gründeten über 100 Bürger*innen die „Zukunfts-Werkstatt Ottfingen“. Sie wollen mitreden, mitbestimmen, was in ihrem Dorf passiert. In der ehemaligen Schule bauen sie einen Kindergarten auf und entwickeln Pläne für ein Kulturzentrum.

Ende 2019 schließt auch noch das einzig verbliebene Lebensmittelgeschäft im Ort. Michael Arns hatte das Geschäft 1981 von seinem Vater übernommen. Im Anfang: Erfolg. Doch als immer mehr Discounter aufmachten, kauften viele Ottfinger bei ihm noch nur das, was sie im Supermarkt vergessen hatten. „Die Hälfte von Ottfingen, die hat man mal gesehen. Aber die andere Hälfte hat man nicht gesehen.“ Das reichte auf Dauer nicht.

Olaf Arns, Vorsitzender der Zukunfts-Werkstatt und beruflich als Geschäftsführer engagiert, hatte die Idee: „Wenn der Laden wegfällt, gibt es ja überhaupt nichts mehr, wo man per Zufall Leute treffen könnte und dann habe ich schon relativ vorlaut gesagt: Dann müssen wir das eben selbst machen.“

Der Plan: die Gründung eines genossenschaftlich organisierten Dorfladens. Die Dorfbewohner*innen sollen Mitbesitzer werden, 500 Anteile à 250 Euro  erwerben, dann – so die Hoffnung – kaufen sie hier auch ein, denn es geht um ihr Geld. Für die Inneneinrichtung beantragt Olaf Arns eine Förderung bei „LEADER“, dem europäisch – nordrhein-westfälischen Programm zur Entwicklung des ländlichen Raumes – mit Erfolg.

Aber sind die Produkte in einem Dorfladen nicht viel zu teuer? Vera Arns vergleicht 2019 die Preise des ehemaligen Dorfladens mit einigen Discountern. Bei 35 Artikeln beträgt der Unterschied z.B. zu HIT gerade mal zwei Euro.
Und wie groß ist das Interesse an einem Dorfladen? Im September 2019 startet die „Zukunfts-Werkstatt“ eine Umfrage: Auch Tanja Bruch befragt ihre Nachbar*innen. Das Ergebnis: Von den 800 Haushalten füllen 316 den Fragebogen aus. 296 befürworten, dass man an dem Projekt weiterarbeitet.

Jochen Bruch, von Beruf Bauleiter entwickelt gemeinsam mit Harald Scholemann, dem Ladenbauer in vielen Stunden verschiedene Versionen des Ladenkonzeptes: Ein „Meeting-point, das Facebook von Ottfingen soll hier entstehen“ – in mediterranem Landhausstil mit Bistro, regionalen und Bioprodukten, einer großen Frischetheke, Schreibwaren, Getränkemarkt und Bargeldausgabe.

Doch einen genossenschaftlich organisierten Dorfladen aufzubauen, das macht man nicht mit links: Förderungen beantragen, Business- und Baupläne erstellen, die Prüfung des Genossenschaftsverbandes bestehen – mit Unterstützung von Dr. Thorsten Möller. Und Menschen finden, die Verantwortung im Vorstand und im Aufsichtsrat übernehmen – das alles ehrenamtlich.

Fast ein Jahr lang begleitet der Film die Aktivist*innen bei dem Aufbau ihres Dorfladens. Bürger*innen aus dem Ort packen regelmäßig mit an. Anfang September 2020 feiert der Dorfladen seine Eröffnung. Nun haben die Ottfinger Bürger*innen es selbst in der Hand. Mit ihren Einkäufen werden sie darüber entscheiden, ob das Geschäft auch in zehn Jahren noch existiert, ob tausende von Stunden ehrenamtlicher Arbeit und knapp eine Viertel Million Euro auf Dauer gut angelegt sind.

Die „Zukunfts-Werkstatt-Ottfingen“ hat weitere Pläne: In der ehemaligen Grundschule wird bald die „Kultur-Werkstatt Wendener Land“ aufgebaut. Die Gelder sind bewilligt. Und wer weiß. Vielleicht wird irgendwann auch die Gastwirtschaft wieder zum Leben erweckt. Denn die steht immer noch leer.

Erstsendung
Mi, 17.02.2021
22:15  WDR

Buch und Regie: Erika Fehse
Kamera: Guido Schweren, Stephan Neuhalfen
Drohne: Uwe Handlos, Q4 FLIGHTCAMS GMBH
Ton: Dirk Vollenbroich, Alexandra Christ, Armin Siegwarth, Jens Neubert, Oliver Thiebe
Schnitt: Kirsten Becker
Grafik: Johannes Stahl / stahldsgn
Musik: Jens Hafemann
Sprecherin: Yvon Jansen
Mischung: Imke Bartmann
Technische Abnahme: Markus Ohlig
Assistenz: Kirsten Stüber
Produktion: Nadine Schwarz, Holger Koopmann, Axel Greinert, Markus Kreimeyer
Redaktionelle Mitarbeit: Anna Herbst
Redaktion: Britta Windhoff

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